im gedächtnis bleiben

Ein Denkmal vor dem Stadion

„Einmal habe ich mich in der Straßenbahn mit einem Freund über die Eintracht unterhalten. Da hat ein Mann gesagt: `Warum wagen es diese Juden, über unseren deutschen Sport zu sprechen?` Da sind wir ganz schnell ruhig geworden und haben danach nie mehr davon geredet.“

Bernhard Florsham, geflohen 1939

"Wir schämen uns für alle, die gegen uns schreien"

Tony Baffoe, Souleyman Sané, Antony Yeboah - 1990

 

Von heute ...

Wenn heute die Frankfurter Eintracht in der hochmodernen Arena zu einem Bundesligaspiel aufläuft, ist das Stadion oft ausverkauft. Die 51.500 Fans jubeln natürlich vorwiegend der Eintracht zu, im Eck gegenüber der Heimkurve stehen die Gästefans, oft hunderte Kilometer gereist, um ihr Team zu unterstützen. Ein bunter Nachmittag kann beginnen. Fußball als Volksport, Fußball als Massenbegeisterung, Fußball als verbindendes Element von im Alltag oft trennender Kräfte. Ob jung ob alt, arm und reich, schwarz und weiß, gläubig oder konfessionslos - uns alle verbindet im Moment des Anpfiffes eines: Die Eintracht. Wir jubeln gemeinsam und wir leiden gemeinsam. Als Eintrachtler. Doch natürlich ist auch die Fußballwelt nicht rosarot, so hat sich bis heute kein einziger aktiver Fußballer als homosexuell geoutet, nicht weil es egal ist, sondern aus Angst vor möglichen negativen Reaktionen. Homophobie ist auch im Jahr 2014 genauso im Alltag verwurzelt wie Rassismus oder Antisemitismus. Als die Offenbacher Kickers 2013 am Bornheimer Hang gegen die Amateure der Eintracht antraten, schallte es von den Rängen: "Zyklon B für die SGE". Sicher, es war nur eine Minderheit, ebenso wie die Unbelehrbaren in der Minderheit sind, die auch heute noch dunkelhäutige Spieler beleidigen und mit rassistischen Schmähgesängen eindecken.

Der DFB versucht mit gutgemeinten Aktionen für Toleranz und Respekt zu punkten, schafft es aber nicht, über den eigenen Schatten zu springen, wenn es darum geht, Farbe zu bekennen. Als die deutsche Nationalmannschaft bei der Vorbereitung zur WM in Brasilien am Millerntor bei St. Pauli trainierte, ließen übereifrige Funktionäre ein stets dort hängendes Banner mit dem Text "Kein Fußball den Faschisten" überkleben. Zu lesen war nun: "Kein Fußball". Klare Bekenntnisse zu Antifaschismus sind auch heute vorwiegend noch denen vorbehalten, die Woche für Woche ins Stadion pilgern, jenen engagierten Fans, die sich Toleranz nicht nur auf die Fahnen geschrieben haben, sondern sich aktiv gegen Diskriminierung einsetzen.

Hier in Frankfurt ist es selbstverständlich, dass Menschen jeglicher Art Woche für Woche zur Eintracht gehen. Das war nicht immer so, und ist auch in Zukunft kein Selbstläufer. Nicht zuletzt aus diesem Grund steht seit Sommer 2014 auf dem Stadiongelände ein Denkmal. Ein Denkmal, dass an diejenigen Fußballanhänger erinnert, die nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 auf einmal nicht mehr da waren, ausgeschlossen, geflohen, vertrieben, ermordet.

 

... zu Gestern

1932 feierte die Frankfurter Eintracht ihren bis dato größten sportlichen Erfolg: Nach dem Gewinn der Süddeutschen Meisterschaft zog die Truppe um Trainer Paul Oßwald ins Finale um die Deutsche Meisterschaft ein – und unterlag im Nürnberger Stadion vor über 60.000 Zuschauern dem FC Bayern München mit 0:2. Nach dem Abpfiff stürmten die Fans den Rasen, die Münchner trugen die siegreichen Spieler auf den Schultern vom Platz.

Sogar in Offenbach wurde seinerzeit Radio gehört: Die jüdische Sportlerin und Journalistin Martha Wertheimer schrieb damals in der Offenbacher Zeitung: Der Sonntag gestern, dieser Tag des Friedens, war zwischen 4 und 6 Uhr in ganz Offenbach ein Bringer von Familienzwist – wenigstens überall da, wo die Familienmitglieder die Übertragung aus Nürnberg vom Endspiel um die Deutsche Fußballmeisterschaft gehört haben. Der Zankapfel konnte dabei von allen Seiten heranrollen: Mutter musste ausgerechnet, wenn ein Elfmeter fällig ist, ins Zimmer kommen, um zu fragen, ob ihre Herren Söhne und der Gemahl etwas trinken wollen. Oder es entbrannte aus rein sachlichen Gründen wegen Schütz oder wegen Mantel ein ... Streit. Da kann man nix machen! Wer Fußball sieht, kann wenigstens brüllen oder pfeifen – aber wer ihn nur hört, muss den Mund halten und kann allerhöchstens gegen die Tischbeine kicken. Wie soll er also seine Aufregung oder seinen Kummer abreagieren? (1)

Enthusiasmus oder aber abgrundtiefe Enttäuschung war also auch schon damals ein Wegbegleiter bei Fußballspielen, obgleich von organisierten Fans in Clubs und Vereinen noch keine Rede sein konnte. Immerhin: Die Kinder sammelten begeistert Bildchen von Fußballern, die Zigaretten beigelegt waren. In Berichten der damaligen Zeit liest man wenig bis nichts von organisierten Fans, es ist schlicht von Zuschauern die Rede oder aber von Fanatikern - wie weiland im Juni 1927 beim Derby der Eintracht beim FSV, wie man dem folgenden Spielbericht getrost entnehmen kann:

Mehrere eindringende Zivilisten wurden von Spielern vom Platz gescheucht. Pfeifer mußte den Platz verlassen. Der Schiedsrichter pfiff an und ab und aus und an. Das Publikum gröhlte und vollführte einen ohrenbetäubenden Lärm, wobei die Jugend sich mit besonderer Inbrunst beteiligte. Die Spieler verließen nach belanglosem Weitergekick den Platz. Vor der Tribüne, da wo die Sessel der Prominenten stehen, kam es zu erregten und wüsten Szenen. Galeriemob wetteiferte mit besser angezogenen Leuten im Toben und Randalieren. Man verschoß Waggonladungen von Flüchen und brachte Beschimpfungen aus schreienden Mäulern ans Tageslicht, die jeder Beschreibung spotteten und, wenn nichts anderes, so doch den Reiz der Neuheit hatten. Einige besonders schlimme Fanatiker — insbesondere ein als Chauffeur verkleidetes Individuum — wurden handgreiflich. Die Menge wurde hinausgedrängt, so daß es zu einer richtigen männermordenden Schlacht eigentlich nicht kam. Vor der Tribüne warteten mehrere hundert Leute, teils um die Sportvereinsmannschaft zu begrüßen, teils um die Eintrachtmannschaft mit Mißfallenskundgebungen zu empfangen. Das Durcheinander wurde fortgesetzt. Man stieß Drohungen aus. Hitzköpfe gerieten aneinander. Männer, Kinder, Greise, Frauen gaben ihre Meinungen mit der nicht geringen Kraft ihrer prachtvollen Organe kund. Der Unbeteiligte kam sich in diesem Trubel vor, wie bei einer kleinen Revolution. Es war unheimlich und schaurig schön. Schließlich erschienen drei berittene Schutzpolizisten. Sie drängten die Massen ab, da Pferde keinen Unterschied zwischen Blau-schwarz und Rot-weiß kennen. Nur einige ganz Besessene blieben da. Sie trotzten den Pferdebeinen. Sie beklatschten die Sportvereinsmannschaft und bewarfen die Eintrachtspieler mit Dreck, woraus man schließen kann, daß der Stadtteil Bornheim einige seiner wackersten Streiter in den wüsten Kampf entsandt hatte. Unter den Dreckwerfern waren viele Jugendliche. Die Qualität der Erziehungsarbeit leuchtete in den buntesten Farben. Für diese Rotznasen war der Trubel Orgie. Schlimm, daran zu denken, daß man für diese jugendlichen Maulhelden auch noch ein Jugendheim baut. Langsam ebbte die Erregung ab. Die Randalitierenden verloren sich in ihre Wirtshäuser, wo die Debatten fortgesponnen wurden. (2)

 

Die Zeiten ändern sich ...

1932: Etliche Eintrachtfans hatten sich vor dem Endspiel im Café Hanselmann an der Oper getroffen, um von dort aus Richtung Nürnberg aufzubrechen und kehrten nach der Niederlage enttäuscht zurück nach Frankfurt, in dessen engen Gassen das Leben pulsierte. Viele Spieler der Frankfurter Eintracht arbeiteten bei der Schuhfabrik J.C. & A. Schneider, deren Besitzer den Aktiven durch eine Arbeitsstelle ein Auskommen sicherten. Die Inhaber Walter Neumann und die Gebrüder Adler, allesamt jüdischen Glaubens, waren selbst große Eintrachtfans. So fanden auch die Spieler Zeit, nicht nur zu trainieren, sondern auch, um im Café Hanselmann einen Kaffee zu trinken. Ob Martha Wertheimer dort verkehrte, ist nicht überliefert. Ihr Text zum Endspiel endet wie folgt:

Die Situation war wohl gestern im wesentlichen überall dieselbe: man saß unterm Kopfhörer oder am Lautsprecher. Wer selbst kein Rundfunkteilnehmer war, hatte allerbeste Gelegenheit, im Strandbad, im ... beim Aeppelwei oder Bier mitzuhören, wie die Eintracht verlor. Und auch da gabs Rede und Widerrede, bis die Nachbarn energisch „Sst!“ machten, die weil gerade wieder eine Ecke für die Eintracht fällig war, die „nichts einbrachte“. Und nachher? „Da setzt mer sich e Stund lang hii, um zu warte, daß die Eintracht verliert!“ ... So war etwa des Volkes Stimme ... (3)

Kaum jemand ahnte damals, wie sich die Welt binnen weniger Jahre verändern würde. Mit der Machtergreifung der Nazis kein Jahr später begann eine Vernichtungswelle, die in der Geschichte beispiellos ist und die Millionen Menschen das Leben kostete. Auch für den Zweiten Weltkrieg, dessen Auswirkungen bis heute das Leben nicht nur in Deutschland prägen, war das NS-Regime verantwortlich. 1945 lag Deutschland in Trümmern, das historische Frankfurt war Geschichte.

Die Auseinandersetzung mit und Aufarbeitung der Vergangenheit gestaltete sich im Nachkriegsdeutschland als hochproblematisch – und manch einer der führenden Nazis machte auch in der Bundesrepublik Karriere. Großes Aufsehen erregten die Auschwitzprozesse in Frankfurt, die 1963, 18 Jahre nach Kriegsende, begannen. Forciert wurde die kritische Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur durch die 68er – doch im Fußball lag noch weit länger der Mantel des Schweigens über der Vergangenheit. In Frankfurt ist es vor allem der Verdienst von Matthias Thoma, der mit seinem Buch „Wir waren die Juddebube“ die Jahre zwischen 1933 und 1945 kritisch beleuchtete. Thoma schildert beispielsweise die Geschichte des jüdischen Schatzmeisters der Eintracht, Hugo Reiss, der schon 1933 fliehen musste und Thoma war es auch, der dem letzten jüdischen Fußballer bei der Eintracht, Julius Lehmann, genannt Jule, seine Geschichte zurückgab – auch wenn bis heute die genauen Umstände seines Todes ungeklärt sind.

Ist es schon mühsam, die Geschichte der Aktiven zu eruieren, so wird dies bei den nicht aktiven Mitgliedern schon schwieriger – immerhin sind wenigstens durch die Mitgliederlisten die Namen der Eintrachtler nachvollziehbar, die zwar Vereinsmitglied waren, aber nicht selbst auf dem Platz gestanden hatten. Nahezu unmöglich wird es aber, wenn wir die Geschichte derer verfolgen wollen, die nicht organisiert waren – aber dennoch zu den Spielen der Frankfurter Eintracht gekommen sind, sei es an den Riederwald, sei es ins Städtische Stadion – und die auf einmal fern blieben, fern bleiben mussten. Während heute Fanzines und Stadionmagazine, Foren und Blogs und sogar die offiziellen Medien den Fußballfans ein Gesicht und eine Geschichte geben, die auch von ihnen selbst geschrieben wird, so erscheint der Fan der Vergangenheit als Teil einer Masse, die sich in der nackten Angabe der Zuschauerzahl eines Spieles niederschlägt. Und selbst die Angaben der Zuschauerzahlen lassen keine aussagekräftigen Rückschlüsse zu, da mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten auch die Struktur der Ligen geändert wurden. Spielte die Eintracht im Jahr 1932/33 in der Bezirksliga Main Hessen, Gruppe Main, noch gegen Mannschaften wie Union Niederrad oder Hanau 93 so hießen die Gegner ein Jahr später in der Gauliga Südwest FK Pirmasens, 1. FC Kaiserslautern oder Phoenix Ludwigshafen, waren also vergleichsweise attraktiver – auch wenn der OFC oder der FSV Frankfurt weiterhin in der gleichen Liga spielten.

Nahezu unbemerkt verschwanden in jenen Jahren etliche Fußballfans aus den Stadien. Die, die immer da waren, fehlten nun. Martha Wertheimer musste ihre Tätigkeit bei der Offenbacher Zeitung schon 1933 einstellen. 1942 war ihr Leben zu Ende, vermutlich ermordet im Vernichtungslager Sobibor. Den Inhabern des Schlappeschneiders, der Firma, bei der ein Großteil der Eintrachtmannschaft von 1932 arbeitete, Walter Neumann und die Brüder Lothar und Fritz Adler gelang immerhin die Flucht aus Deutschland - nachdem der Betrieb 1938 arisiert wurde.

Den aktiven Fußballern in den Vereinen, sei es im DFB organisiert, in Arbeitersportvereinen oder in religiösen Vereinen war vor 1933 gemein, dass auch in der Weimarer Republik ihrem Treiben stets eine übergeordnete Funktion oder Ideologie überlagert wurde. Nie ging es um die einfache Freude am Sport, stets sollte das Individuum in einer Einheit aufgehen, die dem Klassenkampf, der Volksertüchtigung oder der Stärkung der religiösen Gemeinde diente. Rudolf Oswald schreibt in seiner Doktorarbeit „Fußballvolksgemeinschaft“. Ob vom Volk, von der Klasse oder der Konfession die Rede war, körperliche Betätigung wurde zunächst und vor allem als Dienst am Ganzen aufgefasst. Wenn es einen gemeinsamen Nenner der Weimarer Körperkultur gab, dann manifestierte er sich in einem rigiden Anti-Individualismus. Nicht die Freiheit des Einzelnen, sondern dessen Pflicht zum Aufgehen in der Gemeinschaft wurde postuliert. (4)

Immerhin war bis dato von unterschiedlichen Gemeinschaften die Rede, von konfessionellen, politischen bis hin zu revolutionären. Dies sollte sich ab 1933 grundlegend ändern. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden peu a peu sowohl die Arbeitersportvereine als auch die konfessionellen Sportvereine aufgelöst - auch die jüdischen, obgleich Juden ab 1933 noch die Ausübung des Fußballsports in nur jüdischen Vereinen gestattet war, bis auch diese 1938 aufgelöst wurden. Der Prozess der Vernichtung und Ausgrenzung begann schleichend. Doch schon im April 1933 unterzeichnete die Frankfurter Eintracht die „Stuttgarter Erklärung“ und hatte sich ohne Not wie Matthias Thoma nachweist „freudig und entschieden“ der „nationalen Regierung“ zur Verfügung gestellt und ihre Mitarbeit „insbesondere in der Frage der Entfernung der Juden aus den Sportvereinen angeboten. (5)

13 weitere Vereine aus dem Süden Deutschlands taten ihr gleich. Nach den Olympischen Spielen mussten Kinder Mitglied der Hitler Jugend sein, um bei der Eintracht Sport zu treiben. Da jüdischen Kindern selbstverständlich die Mitgliedschaft verwehrt blieb, verschwanden diese aus dem alltäglichen Leben der Eintracht. Schließlich wurde 1940 der Arierparagraph offiziell bei der Eintracht eingeführt. 

Während also auch in dieser Zeit die nichtjüdische Jugend fröhlich Sammelbildchen tauschte, wurden die Juden zunächst aus dem öffentlichen Leben und auch von den Fußballplätzen zurückgedrängt. Nach und nach mündete Ausschluss und Unterdrückung in Massenvernichtung. Ulrich Matheja, der seit Ende der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts die Vereinsgeschichte der Eintracht in den Standardwerken „Schlappekicker und Himmelsstürmer“ und der Chronik „Unsere Eintracht“ dokumentiert, belegt die Geschichte mit Zahlen:

1933 waren von 555.857 Einwohnern Frankfurts 26.158 jüdischen Glaubens. Damit beherbergte die Stadt die nach Berlin zweitgrößte jüdische Gemeinde Deutschlands, mit 4,7% war der jüdische Bevölkerungsanteil jedoch der höchste aller deutschen Großstädte.“ Und weiter: „Es gab vier jüdische Sportvereine, von denen zwei, der 'Sportverein Bar Kochba' (seit 1928) und der Jüdische Arbeiter-Sportclub (1930 gegründet) eine Fußballabteilung besaßen. Im Großen und Ganzen war die jüdische Bevölkerung Frankfurts in den gleichen Sportvereinen organisiert wie die nichtjüdischen. (6)

Davon ausgehend könnte man sagen, dass auch die jüdische Bevölkerung die gleichen Vereine unterstützte wie die nichtjüdische. Wechselte man vor Hitlerdeutschland freiwillig die Straßenseite, wenn einem Eintrachtler ein Bornheimer begegnete, so mussten anschließend Juden die Straßenseite wechseln. Das Betreten des Trottoirs war verboten. Erschütternd die Erkenntnis, dass …nur knapp 100 jüdische […] Mitbürger den Holocaust in Frankfurt [überlebten]. 9.415 waren deportiert und im KZ ermordet worden. (7)

Du spielst nicht, weil du ein Jude bist.

Die Aufarbeitung der Geschichte der Eintracht in den Jahren 1933 bis 1945 verdankt der Verein in großen Teilen der Arbeit des derzeitigen Museumsdirektors Matthias Thoma, der nach langer Recherche immerhin einigen der bis dato vergessenen jüdischen Sportlern, Funktionären und Anhängern die Geschichte zurückgeben konnte. Wir dürfen auszugsweise aus seinen Arbeiten zitieren und dessen Erkenntnisse der Öffentlichkeit zugänglich machen, exemplarisch sei an dieser Stelle einen Blick auf die Geschichte zweier Frankfurter Jungs geworfen, die aus jüdischen Familien stammten und große Anhänger der Eintracht waren:

Am 19.10.1941 wurden 1.180 Frankfurter Juden aus Frankfurt nach Lodz deportiert. Dies war die erste Deportation, mit dabei Friedrich Schafranek, Mitglied in der Fußballabteilung der Eintracht. Schafranek war großer Eintrachtanhänger und spielte in seiner Jugend zeitweilig selbst dort, wurde sogar ab und an von Rudi Gramlich trainiert. Jener Gramlich, der 1936 die Farben der Eintracht bei der Olympiade repräsentierte, anschließend Mitglied in der Waffen SS war und bis heute Ehrenpräsident der Eintracht ist. Im Gespräch mit Matthias Thoma schilderte Schafranek sein erstes Spiel:

Als mein erstes Spiel bevorstand, standen wir um den Trainer herum. Er hat die Aufstellung bekannt gegeben, und ich habe auf meinen Namen gewartet. Aber ich wurde bis zum Schluss nicht aufgerufen. Da habe ich einen Freund gefragt, weil ich dachte, ich bin ein besserer Torwart als der, der aufgestellt wurde. Er hat mir dann gesagt: Du spielst nicht, weil du ein Jude bist. (8)

Schafranek hatte "Glück" in der Tragödie, als einziger seiner Familie überlebte er den Holocaust. Nach seiner Befreiung aus Auschwitz wanderte er zunächst nach Australien aus, um 1970 nach Deutschland zurück zu kehren. 2013 ist er im Alter von 88 Jahren verstorben.

Bernhard Flörsheim, der sich nach dem Krieg Florsham nannte, war schon als Kind großer Eintrachtfan und berichtete, wie er vor der Diktatur begeistert mit der "Elektrischen" an den Riederwald gefahren ist, um die Eintracht zu sehen. Einmal war ich sogar beim Derby gegen den FSV. Da ging es natürlich hoch her, die Eintracht hat das Spiel knapp gewonnen“, erinnert sich Bernard Florsham rückblickend und schwärmt von den damaligen Spielern Schütz, Stubb und Gramlich. (9)

Florsham blieb der Eintracht auch nach der Machtübernahme zunächst treu: Aber: Den Antisemitismus aus der Bevölkerung bekam Bernhard deutlich zu spüren. „Einmal habe ich mich in der Straßenbahn mit einem Freund über die Eintracht unterhalten. Da hat ein Mann gesagt: `Warum wagen es diese Juden, über unseren deutschen Sport zu sprechen?` Da sind wir ganz schnell ruhig geworden und haben danach nie mehr davon geredet.“ Und noch [... Jahre später ...] erinnert er sich an das unangenehme Gefühl, als er am 24. April 1938 im Frankfurter Stadion beim Länderspiel gegen Portugal vor Ort war: „Da haben vor Spielbeginn alle den Arm zum deutschen Gruß gehoben. Natürlich hatte ich ein wenig Angst, da ich als Jude ja nicht dazu gehören sollte, aber man wollte sich einfach in der Menge verlieren lassen.“ (10)

Florsham konnte 1939 als Sechzehnjähriger nach Großbrtitannien fliehen, eine Familie in Coventry hatte sich nach längerer Suche bereit erklärt, ihn aufzunehmen, nachdem sein Vater nach der Pogromnacht verhaftet wurde und für sechs Wochen verschwunden blieb. Als er nach Hause kam, war er verstört, ohne Brille und kahlrasiert.

Erst nach dem Krieg erfuhr Florsham, dass auch niemand aus seiner Familie die Shoa überlebt hatte. Dennoch kehrte Florsham mehrfach zu Besuchen nach Deutschland zurück und zitterte weiterhin mit seiner Eintracht: „Eintracht ist so ein schöner Name für einen Verein - Concordia.“ Und eine einfache Erklärung für die langjährige Verbundenheit zu seinem Heimatverein liefert er in seiner Landessprache: „You always think of the team you support“. (11)

Wir kommen wieder

In ihrem Buch "Endlich reden" beschreibt die Frankfurterin Lilo Günzler die Veränderung des jüdischen Lebens in Frankfurt während der Diktatur. Ihr kleiner Bruder Helmut war das letzte Kind, welches gemeinsam mit seiner Mutter aus Frankfurt nach Theresienstadt deportiert wurde:

Am 11. Februar 1945 machten Mama, Helmut und ich uns auf den Weg zum Ostbahnhof. ... Mama hatte am Vorabend den Judenstern wieder an Helmuts Jacke genäht, ohne Stern wäre er sofort erschossen worden. Die Straßen waren menschenleer, schweigend sind wir den weiten Weg gelaufen, was sollten wir noch sagen. Jeder von uns war davon überzeugt, wir sehen uns nicht mehr wieder. Noch nie hatten wir davon gehört, dass jemand von einem Transport zurück gekommen war. (12)

Wie perfide das System vorging, belegt die Tatsache, dass die Juden den Transport in die Konzentrationslager selbst bezahlen mussten.

Die SS-Männer schieben eine Waggontür nach der anderen mit lautem Knall ins Schloss und verschließen sie mit einem großen Hebel. Jedes Mal, wenn eine Tür zufällt, hören wir die Menschen von innen an die Bretter schlagen und laut weinen. Alle um mich herum weinen. Als der Wagen, in dem Mama und Helmut sind, an die Reihe kommt, schaut Helmut noch einmal aus der Tür und ruft mir ganz laut zu. "Wir kommen wieder." (13)

Helmut sollte Recht behalten, im Juli 1945 kehrte er mit seiner Mutter nach Frankfurt zurück:

Ich erkannte ihn nicht wieder. Er war so dünn, so zerbrechlich. Sein Kopf war winzig im Vergleich zu seinem abgemagerten Körper. Stumm stand er in der Tür. (14)

Noch im Jahr 1945 wurde Helmut Fan der Frankfurter Eintracht, und trat 1946 in den Verein ein, dem er bis heute treu geblieben ist. Und bis heute fällt es ihm schwer, über die Zeit vor und in Theresienstadt zu sprechen.

Erinnerung wider das Vergessenen

In Erinnerung an deportierte und ermordete Juden, Sinti und Roma und weitere Verfolgte hat der Künstler Gunter Demnig ab 1992 ein Projekt entwickelt, welches sich unter dem Namen „Stolpersteine“ fassen lässt. Vor allem vor Wohnhäusern der Ermordeten und Vertriebenen, aber auch an anderen markanten Stellen tauscht er einen Pflasterstein zugunsten eines Messingsteines aus, welcher Namen sowie Geburts- und Todesdatum namentlich bekannter Opfer der Nationalsozialisten erhält. Seit 2008 beteiligt sich auch die Frankfurter Eintracht an der Verlegung der Stolpersteine in Erinnerung an ihre ermordeten und verfolgten Mitglieder; die ersten Steine wurden 2008 im Gedenken an Else und Emil Stelzer in der Finkenhofstraße verlegt. Weitere folgten, so auch am Frankfurter Riederwald in der jetzigen Alfred Pfaff Straße, der Heimat des Vereins, in Erinnerung an Jule und Max Lehmann. Historisch nicht ganz korrekt, da der neue Riederwald erst 1952 eingeweiht wurde. Der Ort, an dem Jule aber gespielt hat, war der alte Riederwald , der 1943 zerbombt wurde. Heute ist vom einstigen Stadion nichts mehr zu sehen, ein großes Einkaufszentrum ist seit Jahrzehnten dort ansässig.

 

im gedächtnis bleiben

Das Frankfurter Fanprojekt hat sich zur Aufgabe gemacht, auch an diejenigen zu erinnern, deren Namen nicht oder noch nicht bekannt sind und die auf einmal nicht mehr an ihrem Platz standen. Für sie wurde am 23. Juni 2014 ein Denkmal eingeweiht, welches nun am Haupteingang des Frankfurter Städtischen Stadions steht, einen Steinwurf vom Stadionbad entfernt, das Juden ab 1935 nicht mehr betreten durften. Doch es erinnert nicht nur an die jüdischen Frankfurter. Wer weiß schon, wie viele Kommunisten, Homosexuelle oder Sinti und Roma zur Eintracht gegangen und später dem Naziregime zum Opfer gefallen sind. Jeder einzelne ist einer zu viel. Und auch wenn die Namen der Opfer womöglich der Vergessenheit anheim gefallen sind, so wird wird das Denkmal dazu beitragen, dass sie und ihre traurige Geschichte ... im gedächtnis bleiben - und sich Geschichte nicht wiederholt.

Axel "Beve" Hoffmann, Juni 2014

Quellennachweis

(1) Martha Wertheimer, Offenbacher Zeitung, 13.06.1932

(2) Spielbericht FSV : Eintracht, entnommen vom Eintracht-Archiv von Frank Gotta, Juni 1927

(3) Martha Wertheimer, Offenbacher Zeitung, 13.06.1932

(4) Rudolf Osswald, Fußball-Volksgemeinschaft, Campus Verlag Frankfurt am Main, 2008

(5) Matthias Thoma, Wir waren die Juddebuben, Verlag die Werkstatt, Göttingen 2007

(6) Ulrich Matheja, Unsere Eintracht., Verlag die Werkstatt, Göttingen 2011

(7) Ulrich Matheja, Unsere Eintracht., Verlag die Werkstatt , Göttingen 2011

(8) Friedrich Schafranek im Gespräch mit Matthias Thoma, 2006

(9) Bernhard Florsham im Gespräch mit Matthias Thoma

(10) s.o.

(11) s.o.

(12) Lilo Günzler, Endlich reden, Henrich Editionen 2009

(13) Ebenda

(14) Ebenda